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20
Dezember
Wo ich nicht bin, da ist das Glück.
Andre wollen ein unblutiges Denken kennen. Harmonie, Mäßigung, Milde. Kleist, so übermäßig er sich anstrengt, dringt in das innere Leben der Wörter nicht ein. Von Sehnsucht verzehrt, bewege ich mich in ihrem Abglanz. Druckreif, sagt er zu Wedekind, der wartet. Druckreife Sätze, Herr Hofrat, es ist ein Laster. Ein jeder fein scharf gemacht als Guillotine für seinen Vorgänger.
Kleist, sagt Wedekind, wenn Sie mir doch glauben wollen: Es ist nicht gut, daß der Mensch zu tief in sich hineinblickt. Danke für die gute Absicht. Wenn ich derart heruntergekommen wäre, den Trost zu brauchen, das milde Urteil anzunehmen. Jetzt höllisch achtgeben, daß ich meinen Kopf nicht zwischen den Händen presse, vor all diesen Leuten. Welch schöner Saal. Was für gefällige Menschen. Wie sie eigentümliche Figuren bilden, nach Regeln, die ich niemals lernen oder begreifen werde. Mein Gott. - Christa Wolf/Kein Ort. Nirgends
20
Mai
Kurze
Ich bin ja eher medioker, was meinen Büchergeschmack angeht (und sonst auch), aber wenn der Herr kid schon einmal mit Stöckchen nach mir wirft, lüfte ich doch gern kurz den Mantel des Schweigens.
1. Du steckst in der Welt von Fahrenheit 451, welches Buch möchtest Du sein? Ich möchte kein Buch sein. Ehrlich nicht. Sollte ich aber jemals eines sein müssen, wäre das wohl Zeruya Shalevs Liebesleben. Intensiv, warm, konfus, meisterhaft erzählt. 2. Warst du je in eine Figur aus einem Buch verknallt? Ein wenig, unschuldig-platonisch - und sehr lang her: Yossarian aus Catch 22. Anschließend ihn im Film zu sehen, hat alles kaputt gemacht (schluchz). 3. Welches Buch hast du zuletzt gekauft? Mehrere. Haruki Murakami, Der Elefant verschwindet, Expressionismus und Wahnsinn, Peter Handke, Die Hornissen. Gerade erst gekauft, noch unstudiert, also keine weitere Aussage dazu möglich. 4. Welches Buch hast du zuletzt gelesen? Margaret Atwood, Die Räuberbraut. 5. Welches Buch liest du gerade? Oh. Das sind immer mehrere parallel. Bereits seit Monaten in den Büropausen Laurence Sterne, Leben und Ansichten des Herrn Tristram Shandy, weil es dort so wild herummäandert, dass ich mich eh nicht besonders lange darauf konzentrieren kann. Dann Jonathan Franzen, Die Korrekturen, was etwas quälend ist. Einmal wieder Kazuo Ishiguro, Was vom Tage übrig blieb (Das ist natürlich nicht quälend, sondern großartig). 6. Welche fünf Bücher nähmst du mit auf eine einsame Insel? 1. Peter Høeg, Der Plan von der Abschaffung des Dunkels 2. Ethan Hawke, The hottest state 3. Christa Wolf, Leibhaftig 4. Graham Swift, Last Orders 5. John Irving, The Hotel New Hampshire (Alles bereits monologisch beworben, fürchte ich) Zurück zum Unterhaltungsprogramm.
01
Februar
So quälte er sich und peitschte sich mit diesen Fragen; es bereitete ihm sogar einen gewissen Genuss. Und all diese Fragen, sie waren ihm nicht neu und unerwartet, sie waren alt, lange herumgetragen und längst vorhanden. Sie marterten sein Herz schon lange. Seit langer, sehr langer Zeit war in ihm diese Schwermut entstanden, war gewachsen, hatte sich angesammelt, war zur Reife gekommen, hatte sich konzentriert und die Form der entsetzlichen, wilden und phantastischen Frage angenommen, die sein Herz und seinen Kopf marterte und nach einer Lösung schrie. Der Brief von der Mutter hatte ihn jetzt wie ein Blitz getroffen. Jetzt war keine Zeit mehr, schwermütig zu sein, passiv zu leiden und zu erwägen, dass die Fragen unlösbar sind, sondern es musste unbedingt gehandelt werden, schnell gehandelt werden. Um jeden Preis muss ich mich für etwas entscheiden, oder...
"Oder sich vom Leben ganz und gar lossagen!", rief er plötzlich in größter Erregung aus. _ "Das Schicksal, so wie es ist, ein für allemal geduldig hinnehmen und alles in sich ersticken, sich von jeglichem Rechte, zu wirken, zu leben, zu lieben, lossagen! _ Verstehen Sie, verstehen Sie, mein Herr, was es heißt, wenn man nirgendwo mehr hingehen kann?", erinnerte er sich plötzlich der gestrigen Frage Marmeladoffs, "denn es müsste doch so sein, dass jeder Mensch irgendwo hingehen könnte..." Fjodor M. Dostojewskij - Schuld und Sühne
31
Dezember
Mon cher Capricorne!
Giessen Sie das Blei,
Deuten Sie die Splitter und Ihr Leben sei weiter süss und bitter, Giessen Sie das Blei - ach, es wird nicht trüber, - eine Träumerei trage Sie hinüber. Gottfried Benn
08
Dezember
Wissen und Nicht-Wissen sind untrennbar miteinander verknüpft wie siamesische Zwillinge, befinden sich aber im Zustand des Chaos. Chaos. Chaos.
Wer kennt schon den Unterschied zwischen dem Meer und dem, was sich darin spiegelt? Und wer kann Einsamkeit von sacht fallendem Regen unterscheiden? Ohne Zaudern habe ich es aufgegeben, zwischen Wissen und Nicht-Wissen zu unterscheiden. Das ist mein Ausgangspunkt. Vielleicht ein schlechter Ausgangspunkt, aber von irgendetwas muss der Mensch ja ausgehen, oder? Das heißt, ich kann Inhalt und Form, Subjekt und Objekt, Ursache und Wirkung, mich und die Glieder meiner Hand unmöglich als voneinander getrennt wahrnehmen. Wie Krümel auf dem Küchenboden - Salz, Pfeffer, Mehl, Stärke - ist alles miteinander vermischt. Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart
15
November
Der Widerstand des Holzes ist nicht immer der gleiche, je nach der Stelle, wo man den Nagel einschlägt: das Holz ist nicht isotrop. Ich bin es ebenfalls nicht; ich habe meine "schwachen Stellen". Die Landkarte dieser Stellen kenne nur ich, und nach ihr richte ich mich, wenn ich, mit Verhaltensweisen, die nach außen hin rätselhaft erscheinen mögen, dieses vermeide, jenes erstrebe; ich möchte diese Landkarte einer moralisch-psychischen Akupunktur präventiv an meine neuen Bekanntschaften verteilt sehen (die sie darüber hinaus auch benutzen könnten, um mich mehr leiden zu machen).
aus: Roland Barthes - Fragmente einer Sprache der Liebe
07
Oktober
the river runs south/thru barrios and ghettoes and starched neighborhood squares and everywhere the dogs howl I don't even trust the sound of my own voice here my own impermanence haunts me, but this thought alone relieves the pressure from the mirror to the gutter, gutter tongued my heart speaks to the silence in me let me walk alone/home as the dead stoplights wave goodnight --from "The River Runs Foul"
01
Oktober
Warten auf
11
September
Ich hatte dieses Loch in meiner Brust, eine ungeheure Leere. Ich konnte sie fast hören. Manchmal glaubte ich, ich bräuchte nur was zu essen, oder müsste aufs Klo, oder bräuchte dringend eine Frau, oder müsste eine rauchen, oder ich trank fünf Kurze schnell hintereinander, um es auszuspülen oder aufzufüllen - aber egal, was ich tat, dieses trostlose Loch in meinem Brustkorb war immer noch da. Genau über meinem Magen und unter meinem Herz.
Wenn ich ganz still dasaß und lang und tief einatmete, konnte ich es packen oder anfassen - fast jedenfalls. Aber immer wenn ich das versuchte, bekam ich´s mit der Angst zu tun, als ob irgendeine große Lüge da drin säße und nur darauf wartete aufzuplatzen. Ethan Hawke - Aschermittwoch
10
August
Butterbrot
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