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24
September
Soundtrack meines Lebens, eins.
Jeden Menschen, zumindest nach meiner unbescheidenen Meinung jeden, der nicht abgrundtief verkommen ist, begleiten Zeit seines Lebens Lieder - solche, die in der Endlosschleife gespielt oder auch nur beständig wieder gehört werden, zu denen man tanzt oder weint oder glückselig grinst; solche, die Ausdruck einer Zeit, eines Gefühls oder simple Statusanzeige sind; die Veränderungen wenn auch nicht einleiten, so doch immerhin begleiten.
Weil ich sonst nichts Besseres zu tun habe, hörte ich in den letzten Tagen intensiv in mich hinein und suchte neben dem einen oder anderen auch nach ebendieser Musik. Und wurde höchsterfreut fündig. Die Suche nach den passenden Soundfiles erwies sich gleich zu Anfang als schwierig; durch beherztes Eingreifen eines Menschen, der derlei Abstrusitäten zwar nicht selbst sammelt, aber jemanden kennt, der das tut, kann ich Ihnen aber heute Nummer eins der in den nächsten Wochen stattfindenden Reihe Soundtrack meines Lebens vorstellen: Vorhang auf für Lena Valaitis mit “Johnny Blue”! Versetzen Sie sich zurück in die Kinderzimmerwelt eines sich beständig streitenden, aber doch innig liebenden kupferrothaarigen Zwillingspaares, nennen wir sie Kornelia und Klaudia, in den frühen Achtzigern. Auf dem Boden liegen neben Bilderbüchern, Matchboxautos und Barbiepuppen Plattenstapel - schief übereinander liegende Cover, die Platten nur noch zum Teil in den Hüllen befindlich, aber immerhin säuberlich aufrecht an einem Schrank aufgestellt. Auf den Betten, die weitestmöglich auseinanderstehen (”Klaudia schnarcht immer so!”), stapeln sich Kleider der Mutter der beiden; solche aus Synthetikfasern, die mit psychedelischem Muster in grün-orange oder schwarz-weiß bedruckt sind, einfarbige Minikleider mit tief angesetztem Hüftgürtel, weite mit Plisseerock. Kopftücher in vielen Farben, klimpernde Ohrringe, hellblauer Lidschatten und andere Schminkutensilien, eine Federboa - wer auch immer die angeschleppt hat. Ein paar extrovertierte Hüte der Großmutter der beiden, und ein Gürtel mit allerlei klingelndem Tand daran, den die u., die dritte im Bunde, heimlich für den großen Auftritt im Kinderzimmer der Freundinnen aus dem Kleiderschrank ihrer Mutter entliehen hat. Die drei sind selbstvergessen erst damit beschäftigt, sich Sachen anzuziehen, denn früher waren die Dinge eben Sachen, in diesem Falle Anziehsachen; dann damit, sich ungeschickt und mit unsicherer Hand den hellblauen Lidschatten großflächig gegenseitig auf die Lider zu streichen und zur Verstärkung der Erwachsenenwirkung noch einen hellroten Lippenstift aufzutragen. Mit diesem grotesken Ergebnis verunstaltet posieren die drei dann der Reihe nach für einen imaginären Kameramann, schmeißen ihm Kusshände zu und schauen tief und verheißungsvoll in sein imaginäres Objektiv - eine von ihnen leckt sich lasziv über die Lippen, weil sie das mal in einem Film gesehen hat, was die anderen beiden erst erröten, dann in lautes Gelächter ausbrechen lässt - nicht zuletzt, weil es albern aussieht und der Sinn dahinter jenseits ihrer Vorstellungskraft liegt. Sie singen “Johnny Blue” in das Mikrofon, das zum Tonbandgerät aus dem Wohnzimmer gehört, eine nach der anderen, dann alle zusammen, für das imaginäre Publikum; sie breiten die Arme aus und halten sich das Herz, sie krümmen sich zusammen und atmen auf. Tosender Applaus, Zugabe! Zugabe!-Rufe, die drei machen einen verlegenen Knicks, ziehen sich für Beratungen zurück und geben eine Zugabe - natürlich “Johnny Blue”, ihren großen Hit. Nebenan klopft der ältere Bruder der Zwillinge entnervt gegen die Wand, aber er wird nicht beachtet, denn er hasst sowieso alles und jeden und beschwert sich, egal was man tun oder nicht tut. Am Ende liegen sie kichernd auf dem Bett des einen Zwillings, sie haben verschwitzte Gesichter mit roten Wangen und verschmiertem Lippenstift, von unten ruft die Mutter der Zwillinge, sie mögen bitte leiser sein, denn sie wolle telefonieren, aber in der Küche stehe ein halber Gugelhupf neben drei Gläsern warmer Milch und warte auf sie. Kinderglück - Freundinnen, Verkleidungsspiele und ein warmer Kuchen. Was braucht man schon mehr? Lena Valaitis singt “Kinder können grausam sein”. Diese drei sind es nicht, nicht an diesem Tag. Sie sind drei Freundinnen an einem Herbsttag, die sich nach der Schule, in der sie gerade lernen, den Zahlenraum bis 20 zu beherrschen, zusammen auf einen Ausflug in eine ihnen angenehme Scheinwelt begeben.
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