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06
Januar
Sein letztes Haus


So bin ich also wieder daheim, nach einem Besuch seines Grabes, das noch in vollem Blumenschmuck steht, an dem ich meinen Stein deshalb nicht loswerden konnte, dessen Anblick noch immer bei mir den Eindruck der Unwirklichkeit hervorruft - trotz all der Gespräche, der Mails und Anrufe, der Todesanzeigen und Danksagungen.
So sehr ich mich auch bemühte, wenigstens dort in eine wie auch immer geartete Verbindung zu ihm zu kommen, es gelang mir nicht. Ich bin kein spiritueller Mensch, ich glaube daran (und hoffe darauf), dass mit dem Tod tatsächlich alles vorbei ist (wie überirdisch schlecht wäre es denn, zu sterben, um dann feststellen zu müssen, dass noch immer nicht Schluss ist mit all der Müherei!?), und so stand ich still und angestrengt dort und wusste nichts zu sagen, wenig zu denken, noch weniger zu tun.

Die Treffen mit Menschen, die ihm wichtig waren, und die ich erst jetzt besser kennenlerne, waren hilfreicher, denn ich sehe in jedem von ihnen das, was er in ihnen gesehen haben mag; ich sehe auch in jedem von ihnen einen Teil von ihm - eine bestimmte Art des Umgangs mit anderen, eine gewisse Art Humor, eine ganz spezielle Art des Denkens.

Sie gab mir ein Bündel mit - meine Briefe und Postkarten. Er hatte alles aufbewahrt - jeden Zettel, jede kleine Nachricht auf jedem Post-it, die ich ihm jemals schrieb. Sie gab mir auch ungleich Kostbareres wie Schmerzhaftes mit auf den Heimweg.

Ihre Pläne, seinen ungeliebten zweiten Vornamen, bei dessen Nennung er immer zusammenzuckte, auf dem provisorischen Holzkreuz beim nächsten Besuch mit Holzkitt zuzuspachteln, quittierte ich nur mit einem müden Grinsen, obschon ich einen Vorschlag hätte, wie man die entstehende Leerstelle sinnvoll auffüllen könnte.
Man stellte ihm eine kleine Tanne vor ebendiesen Vornamen. Ich denke, ihm würde das gefallen.
[invert]

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unspirituell hin spirituell her
egal
ich wünschte ich hätte ein grab, zum davor stehen bleiben.
erst wenn es garnichts gibt, merkt man funktionen, die sonst sinnlos schienen,
wie wichtig abschiede sind.
und rituale.
ich hoffe, es geht ihnen gut.
 
Wenn ich das mal wüsste. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht, und vielleicht ist das auch besser so. Momentan.

Bis vor Kurzem hatte ich nie das Bedürfnis nach dieser Stelle, an die man gehen kann. Weil ich alles viel besser vor meinem innerem Auge sehe, weil ich es in meinem Kopf habe. Diesmal ist es anders, weil der Mensch mir so nahe war, weil ich seinen Tod nicht begreifen kann und weil ich nach Antworten suche. Die werde ich dort nicht finden, soviel ist sicher. Aber auch nicht anderswo, also gehe ich dahin, wo ich wenigstens dem, was mal er war, nahe sein kann, und denen, die ihm auch nahe waren.
Es bringt Trost, soviel ist sicher.
 
Nachdem ich scheinbar nie damit in Berührung kam, habe ich in den letzten zwei Jahren drei Todesfälle in allernächster Umgebung erlebt, als wollte das Leben mir signalisieren: "Hier, lerne deine Lektion." Die Erinnerungen und Gedanken sind immer noch, immer wieder da. Unwirklich und real.

Ihre Einstellung zum Tod erinnert mich an Epikur, dem ich da auch viel (fast alles) abgewinne. (Es gibt diese kleinen Textsammlungen für ein paar Euro.)
 
Ich glaube fast, die werden Sie auch Ihr Leben lang begleiten; ich für meinen Teil kann es mir nicht anders vorstellen. Zu sehr prägte er mich und mein Leben, um irgendwann vergessen zu sein.

(Buch ist bereits vermerkt und wird morgen mal rangetragen.)
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